Ade Feng Guoqing
Gemäß dem chinesischen Sprichwort, dass der Tod mancher Menschen schwerer wiegt, als der Taishan, reißt das Hinscheiden von Dr. Feng Guoqing eine Lücke in die österreichisch-chinesische Kulturlandschaft, die nicht zu schließen ist. Dr. Feng Guoqing war Wissenschaftler, Übersetzer und Mittler zwischen beiden Staaten zugleich.
Ich wurde zum ersten Mal auf ihn aufmerksam, als mich der berühmte Germanist von der Universität Wien Prof. Wendelin Schmidt-Dengler anrief und mich um Hilfe bat. Er erklärte mir, nie habe er zuvor einen so ausgezeichneten Studenten gehabt. Nun sei sein Stipendium ausgelaufen und man müsse unbedingt einen Weg finden, um seinen weiteren Aufenthalt zu finanzieren. Es gelang mir damals über einen Politiker ein Stipendium des Bundeslandes Salzburg zu erreichen und damit Dr. Fengs wissenschaftliche und berufliche Laufbahn zu sichern.
Sein Beruf, nein seine wahre Berufung als genialer Übersetzer, führte uns danach anlässlich des Besuches vom Präsidenten des chinesischen Volkskongresses Qiao Shi zusammen. Der damalige Nationalratspräsident Dr. Heinz Fischer gab mir damals den Auftrag einen geeigneten Dolmetscher zu suchen. Doch von der Sinologie getraute sich keiner die heikle Aufgabe zu übernehmen. So fragte ich Präsident Fischer: „Genügt jemand, der brillant übersetzen kann oder muss er auch österreichisch aussehen?“ Präsident Fischer antwortete es käme nur auf das Niveau an und so wurde Dr. Feng Guoqing ab diesem Zeitpunkt ein unverzichtbarer Faktor bei den Staatsbesuchen von und nach China. Dabei erlebte er dramatische, emotionale und lustige Sternstunden der österreichisch-chinesischen Beziehungen. Er war in den Paukenschlag der bilateralen Kontakte eingebunden als, von China sehr zur Kenntnis genommen, sich gemeinsam Bundespräsident, Bundeskanzler und mehrere Minister nach Peking begaben, erlebte Staatspräsident Jiang Zemin, als dieser in Wertschätzung österreichischer Kultur Melodien von Johann Strauß sang und mit einer österreichischen Industriellen Walzer tanzte und war Augenzeuge, als man den Volkskongresspräsidenten Qiao Shi wegen des kaputten Lifts in den vierten Stock zu Präsident Fischers Wohnung tragen musste.
Dr. Feng Guoqing sprach und schrieb ein makelloses Deutsch und setzte diese Fähigkeit auch ein, wenn sich österreichische Politiker nicht als Jünger des Demosthenes erwiesen.
Unbeholfene, peinliche Äußerungen kleidete er mit der ihm eigenen Meisterschaft in bestechendes, oft poetisches Chinesisch und trug somit zum glücklichen Ausgang so mancher österreichisch-chinesischen Gespräche bei.
Ich bewunderte seine Fähigkeit, ohne sich Notizen zu machen, lange Schachtelsätze im Gedächtnis zu behalten und gemessen mit seiner sonoren markanten Stimme wiederzugeben.
Das Spektrum seines Vokabulars war unendlich. Er übersetzte mit gleicher Meisterschaft Technisches, Wirtschaftliches, Juristisches, Literarisches, oft einen ganzen Tag lang, ohne dabei die üblichen Pausen einzulegen.
Ich erinnere mich gut an den Abend im Wiener Rathaus, als mehr als 1000 Personen im Großen Festsaal dem mit vielen daoistischen Fachausdrücken gespickten Vortrag des Abtes des Huangdaxian Tempels von Jinhua lauschten. Statt der vereinbarten einen Stunde, sprach der Abt 2 ½ Stunden über die komplizierten Probleme des Daoismus. Dank der kongenialen Übersetzung Dr. Fengs ging keiner früher weg, sondern alle verharrten gebannt auf ihren Plätzen. Zu dem Vortrag hatte die Österreichisch-Chinesische Gesellschaft gemeinsam mit den Wiener Vorlesungen eingeladen. Die Wiener Vorlesungen sind auch eines der Beispiele für Dr. Fengs vielfältiges wissenschaftliches Wirken. Dr. Feng hat im Rahmen der Wiener Vorlesungen an wichtigen Konferenzen und Seminaren als Vortragender und Übersetzer mitgewirkt. Er wirkte auch als Autor gemeinsam mit dem Ehrenpräsidenten der Österreichisch-Chinesischen Gesellschaft Helmuth Sohmen, dem Professor und Pianisten Hans Kann und mir bei der Herausgabe des Bandes der Wiener Vorlesungen: „Die Nähe des Fremden – China und Österreich im Kulturvergleich“ Als Titel seines Beitrags wurde von ihm gewählt: „Feder ohne Fahne. Von der Herausforderung für Chinesen eine österreichische und für Österreicher eine chinesische Literaturgeschichte wider den engstirnigen Nationalismus zu schreiben.“
Am Ende seiner Studie schreibt er:
In China streitet man nicht darüber, ob es eine chinesische Literatur gibt. Auch mangelt es nicht an chinesischen Literaturgeschichten. Hier wäre wichtig, daß man die Daten der drei Jahrtausende langen Literaturgeschichte bewältigt und kritisch damit umgeht. Dabei soll man die gegebenen, vielfach politisierten Literaturgeschichten entpolitisieren und das Augenmerk auf die zum Teil Jahrtausende andauernden Wirkung von literarischen Werken richten. Gerade an der chinesischen Literaturgeschichte soll und kann sich wunderbar herauskristallisieren, wie wichtig Einflüsse aus fremden Regionen selbst bei Entstehung und weiterer Entwicklung einer jahrtausendalten Literatur sind.
Nicht ausgrenzen und selbstherrlich werden, sondern die Eigenart feststellen und zugleich auf Querverbindungen eingehen. Auf diese Art kann man eine Nationalliteraturgeschichte ohne nationalistische Auswüchse schreiben. In der Tat: Wer ernsthaft an eine Literaturgeschichte herangeht, wird Staatsgrenzen hinweg übersehen. Vielmehr wird er feststellen: Wie es keinen reinrassigen Menschen gibt, gibt es auch keine reinrassige Literatur. Ein Eintauchen in die Nationalliteratur ist also just das, was jeden engstirnigen Nationalismus unmöglich macht. So wird man auch Goethe sofort beipflichten, der trotz aller kriegerischen Auseinandersetzungen Deutschlands gegen Frankreich, an den er auch selbst teilnahm, dieses Land „nicht hassen“ konnte, zu verwandt fühlte er sich nämlich geistigen Größen gerade dieser damaligen „Feindnation“.
Im Gewesenen und in der Ferne kann man erfrischend Neues entdecken. Wenn man nicht an der Oberfläche verharrt, kann man das Fremde „entfremden“ und sich in der Fremde zu Hause fühlen. Von einer chinesischen Literaturgeschichte kann und soll man erwarten, zu entdecken, dass dort trotz anderer literarischen Strömungen und Formen das gleiche Dichterherz schlägt. Nicht von ungefähr sagt Franz Kafka: Er ist im Wesen ein Chinese.
Dr. Feng Guoqing war ein Mensch, der niemals über Andere Schlechtes sagte und umgekehrt haben meine Frau und ich noch nie jemanden gehört, der über ihn etwas Schlechtes gesagt hätte. – Ein deutlicher Hinweis auf seine amiable Persönlichkeit.
Ich hatte im Einverständnis mit der Leitung der ÖGCF Dr. Feng Guoqing auf die Liste jener Personen gesetzt, welche wir im Frühjahr anlässlich des 50. Jahr Jubiläums der österreichisch-chinesischen diplomatischen Beziehungen angesichts ihrer Verdienste mit Urkunden ehren wollten. Nun bleibt uns nur übrig, ihm in unseren Herzen ein ehrendes Gedenken zu bewahren.
Ade mein sanfter Freund! Wir werden Dich nicht vergessen!
Gerd Kaminski
Wien, am 18.03.2021